Endophyten: Gift im Weidegras

Endophyten: Gift im Weidegras

Klimawandel und Artenverarmung sind in unseren Zeiten allgegenwärtig – und sie machen sich auch auf der Pferdeweide bemerkbar: Die dortigen Gräser sind zunehmend mit Endophyten besiedelt, die für Pferde schädliche Giftstoffe produzieren können. Bis jetzt waren Endophytengifte vor allem in den USA, Australien und Neuseeland ein Problem. Durch die Klimaerwärmung und eine fortschreitende Intensivierung der Landwirtschaft werden Endophyten aber auch bei uns zum Thema.

Was sind Endophyten?

Eigentlich sind Endophyten etwas völlig Natürliches – und für Gräser manchmal eine Hilfe. Der Name kommt aus dem Griechischen und setzt sich aus „endo“ für „innerhalb“ und „phytos“ für „Pflanze“ zusammen.

Endophyten sind grundsätzlich Kleinstlebewesen, die innerhalb einer Pflanze leben – zum Beispiel endophytische Pilze, die eine Symbiose mit Gräsern eingehen. Diese Endophyten gehören meist zur Pilzgattung Neotyphoidium oder Epichloë und sind eng mit dem Mutterkornpilz verwandt.

Von außen sind die Pilze in der Regel nicht zu erkennen. Sie leben im Graskörper zwischen den Pflanzenzellen. Teile des Mycels und Sporen finden sich auch in den Grassamen – die Endophyten vermehren sich also zusammen mit den Gräsern.

Endophyten und Gräser leben symbiotisch

Pilz-Endophyten erhalten von ihrem Pflanzenpartner Nährstoffe und Wasser. Im Gegenzug sorgen sie dafür, dass die Gräser besser gegen Fraß und Parasiten geschützt sind: Ist das Gras Stress ausgesetzt, kann es durch bestimmte Signale den Pilz dazu animieren, Toxine zu produzieren. Der Produktionsmechanismus kann zum Beispiel durch Stressoren wie Dürre und Hitze, Nährstoffmangel, starken Verbiss und verdichteten Boden getriggert werden.

Bei den produzierten Toxinen handelt es sich um Alkaloide, die je nach Spezies des Pilz-Produzenten für Insekten oder für Wirbeltiere giftig sind. Diese Alkaloide dienen dem Gras als Fraßschutz. Nicht alle von Endophyten produzierten Stoffe sind für Weidetiere ungesund – aber manche schon. Schädlich für Pferde sind zum Beispiel das Alkaloid Lolitrem B oder auch das Mutterkorn-Alkaloid Ergovalin. Ein und dieselbe Grasart kann von unterschiedlichen Pilzarten bewohnt werden, die wiederum unterschiedliche Alkaloide produzieren – die Varianz ist groß.

Besonders Hochleistungsgräser sind besiedelt

Hochleistungsgräser zeichnen sich durch guten Ertrag und hohe Widerstandsfähigkeit aus – deshalb sind sie gerade in der intensiven Landwirtschaft beliebt. Zu den wichtigsten

Wirtschaftsgräsern zählt etwa Deutsches Weidelgras, ebenso wie Rohrschwingel und Wiesenschwingel. Diese Grassorten sind sehr robust und deshalb auf vielen Pferdeweiden zu finden. Allerdings sind gerade sie häufig mit Endophyten besiedelt – wenig verblüffend, wenn man bedenkt, dass Endophyten ihren Symbiosepartnern Widerstandskraft schenken.

Gerade auf Pferdeweiden können Endophyten häufig sein

Pferde gehen nicht sonderlich pfleglich mit ihrer Weide um: Sie verbeißen das Gras bis dicht auf die Erde und verdichten mit ihrem Gewicht den Boden. Gräser auf einer intensiv genutzten Pferdeweide stehen unter großem Stress. Einige Grasarten können damit besser umgehen als andere – dazu gehören vor allem auch Gräser, die in Symbiose mit Endophyten leben und dadurch widerstandsfähiger sind. Über die Jahre kann sich auf stark genutzten Pferdeweiden die Gräserzusammensetzung wandeln, ohne dass das geplant ist: Die empfindlicheren Gräser verschwinden allmählich, während die endophytenbesiedelten Robustgräser einen immer größeren Anteil der Weide ausmachen.

Gras-Monokulturen verschärfen das Problem

Pferdeweiden werden immer artenärmer – das kann bezüglich der Endophyten zum Problem werden. Fressen Pferde auf einer artenreichen Wiese, werden beim Fraßvorgang die Gifte von endophytenbesiedelten Gräsern durch andere Grassorten gewissermaßen verdünnt. In Gras-Monokulturen funktioniert das nicht: Ist die vorherrschende Grassorte von Endophyten befallen, gibt es keine anderen Gräser, die für Ausgleich sorgen können. Auf artenarmen Wiesen weidende Pferde haben beim Fressen auch nicht die Möglichkeit, selbstständig zu selektieren und bei Endophytenbelastung auf andere Gräser auszuweichen – was sie bei ausreichender Auswahlmöglichkeit vielleicht tun würden.

Mit Endophyten besiedeltes Saatgut – manchmal ist das Absicht

Endophyten sorgen bei Gräsern für eine höhere Resilienz gegen Umwelt-Stressoren und für bessere Erträge. Manche Endophyten vermindern ein Insektenvorkommen auf der angelegten Grasfläche oder verhindern, dass z. B. Wildgänse das Gras abfressen. Deshalb sind die kleinen Pilze von Pflanzenzüchtern unter Umständen durchaus gewünscht. Teilweise wird Saatgut deshalb gezielt mit Endophyten ausgestattet – zum Beispiel in Neuseeland und in den USA.

Der Klimawandel befördert Pilzgifte im Gras

Bis jetzt waren Pilzgifte im Weidegras vor allem ein Problem für Weidetiere in Australien und Neuseeland sowie in den USA. Dort kam es in der Vergangenheit bei Weidevieh zu tödlichen Massenvergiftungen. Im gemäßigten Klima Europas hatten Gräser in der Weidesaison bisher wenig Grund, in Stress zu geraten: Moderate Temperaturen und regelmäßiger Niederschlag sorgten dafür, dass sich der Pilzgift-Gehalt auf der Weide in Grenzen hielt. Mit dem Klimawandel werden die Sommer allerdings deutlich stressiger für Gräser: Hitze und längere Dürreperioden nehmen auch in Europa zu. Die mit Pilzen in Symbiose lebenden Gräser sind

dabei gegenüber pilzfreien Gräsern im Vorteil. Mithilfe der Pilze können sie extremen Wetterbedingungen besser trotzen und breiten sich deshalb immer mehr aus.

Eine Studie aus dem Jahr 2019 fand in Deutschland fünf Grasarten, die mit Epichloë-Pilzen besiedelt waren: Dazu zählten Hochleistungsgräser wie Wiesenschwingel, Deutsches Weidelgras und Knäuelgras sowie der auf Grünflächen häufige Rotschwingel. Positiv: Im heimischen Deutschen Weidelgras fehlte größtenteils das Start-Gen für die Produktion des gefährlichen Mutterkorn-Alkaloids Ergovalin. Das ebenfalls für Pferde schädliche Lolitrem B kam aber auch in hiesigem Weidelgras vor – und das in einzelnen Pflanzen in toxischer Konzentration. (1)

Diese Erkrankungen können beim Pferd durch Endophyten entstehen

Endophyten-Gifte können negative Auswirkungen auf die Pferdegesundheit haben. Die sichtbaren Symptome sind dabei oft sehr variabel, schwer greifbar und nicht vollständig erforscht – in Europa sind sie bis jetzt selten Thema. Anders sieht das etwa in den USA aus: Dort vermuten Forscher zum Beispiel einen Zusammenhang mit Endophytenbelastung im Weidegras und Hufrehe,

Entzündungen der Haut und Durchblutungsstörungen an den Extremitäten. Tatsächliche Erkrankungen durch endophytenbesiedeltes Gras sind bis jetzt vor allem in den USA, Australien und Neuseeland beschrieben worden. Manchmal lässt sich ein klarer Symptomkomplex bei erkrankten Weidetieren definieren und auf Endophyten-Gifte zurückführen – wie bei der sogenannten Weidegras-Taumelkrankheit, englisch „Ryegrass staggers“ genannt.

Ryegrass staggers

Diese Erkrankung entsteht durch eine Vergiftung mit dem Nervengift Lolitrem B und anderen giftigen Alkaloiden, die Endophyten in Weidelgras bilden. Sie kann bei nahezu allen Weidetieren auftreten, z. B. Pferden, Rindern und Schafen. Fälle von Ryegrass staggers gibt es regelmäßig in Neuseeland, teilweise aber auch in Australien und Südamerika. Vereinzelte Fälle sind zudem in Europa bekannt; das die Krankheit verursachende Lolitrem B findet sich auch in heimischem Deutschen Weidelgras. Die Symptomatik besteht aus unterschiedlichen neurologischen Ausfällen – taumelndem Gang bis hin zu Krämpfen und Hinterhandlähmung, headshaking oder Kopfnicken sowie Augenzucken. Vergiftete Pferde können schreckhafter und desorientiert erscheinen.

Equine fescue oedema

Auf Endophytengifte zurückzuführen ist wahrscheinlich auch das Equine Schwingelödem bzw. equine fescue oedema. Es wird durch Alkaloide verursacht, die in endophytenbesiedelten Wiesenschwingeln und Weidelgräsern zu finden sind. Das Schwingelödem äußert sich durch Schwellungen an Kopf und Hals, angelaufene Beine und gestörtes Allgemeinbefinden – im Extremfall kann es auch zum Tod des Pferdes führen.

So kann man gegen Pilzvergiftung durch Weidegras vorbeugen

Werden Endophyten in den nächsten Jahren auch in Deutschland zum Problem, oder sind sie sogar schon ein Problem? Es deutet einiges darauf hin – und darum ist es auf jeden Fall gut, durch angepasstes Weidemanagement einer übermäßigen Endophytenbesiedlung der Weide vorzubeugen und so sein Pferd zu schützen. Folgende Maßnahmen können dafür hilfreich sein:

  • Überweidung vermeiden
  • Weidestücken Erholungspausen gönnen
  • Artenreichtum auf der Weide fördern
  • Monokulturen insbesondere von Deutschem Weidelgras vermeiden
  • Hochleistungsgräser nur begrenzt ansäenDaneben ist es sinnvoll, auch bei Weidegang zusätzlich gutes Heu anzubieten – so werden Pferde nicht gezwungen, aus Hunger Pflanzen zu fressen, die sie eigentlich meiden würden. In Risikozeiten wie z. B. Dürreperioden und besonders im Frühherbst macht es zudem Sinn, bei Pferden Stoffwechsel und Leber zu unterstützen und die Darmflora zu füttern – das geht besonders gut mit natürlichen Kräutern.

    Literatur – zum Nachlesen und Weiterstöbern

    https://www.pferderevue.at/aktuelles/haltung/2018/09/giftiges-gras--jetzt-ist-besondere-vorsicht- geboten.html
    https://www.vetline.de/pilzgifte-im-weidegras https://www.uni-wuerzburg.de/aktuelles/pressemitteilungen/single/news/giftige-graeser-neue-stu die-gibt-teilweise-entwarnung/ https://www.vfdnet.de/index.php/4741-lange-suche-nach-den-ursachen-toedlicher-weidetiervergiftungen

    (1) Infection Rates and Alkaloid Patterns of Different Grass Species with Systemic Epichloë Endophytes. Veronika Vikuk, Carolyn A. Young, Stephen T. Lee, Padmaja Nagabhyru, Markus Krischke, Martin J. Mueller, Jochen Krauss. Applied and Environmental Microbiology, DOI: 10.1128/AEM.00465-19