Vor genau 10 Jahren endete die Karriere des berühmten Magier-Duos Siegfried & Roy vor den Augen der Öffentlichkeit: Roy Horn wurde auf der Bühne von seinem Tiger Montecore schwer verletzt. Als „Tiger-Attacke“ ging der Vorfall um die Welt und in die Geschichte ein. Ein Fest für die Medien.
Doch was hier sofort und unreflektiert als „Menschenschlachtung“ stigmatisiert wurde, erscheint bei genauerem Hinsehen als tragisches Missverständnis.
Wie es zu dem Unglück kommen konnte, ist nach wie vor unklar. Eine Theorie besagt, dass Montecore seinen Menschen wie ein Junges in Sicherheit bringen wollte, nachdem dieser auf der Bühne einen Schlaganfall erlitten hatte. Eine andere, dass der Tiger sich durch eine zudringliche Zuschauerin angegriffen gefühlt und Roy sich zwischen sie und den Tiger gestellt hatte. Wieder andere behaupten, es habe sich hier um einen gezielten Todesbiss gehandelt (wobei dann die Frage erlaubt sein muss, wieso Roy Horn heute noch lebt). Aber wieso und wo auch immer das Unglück seinen Lauf genommen hatte, fehlt eines in dieser Diskussion oftmals grundsätzlich: Jemand, der eine Lanze für den Tiger bricht. Und zwar nicht mit romantischen und idealisierten Geschichten, sondern im Hinblick auf ein wunderbares Lebewesen, das einfach nicht nach Las Vegas gehört.
Denn: den Tiger trifft keine Schuld!
Montecore wurde in ein Umfeld verfrachtet, das für ihn nicht natürlich ist. Katzen sind konzentrierte Jäger, die viel Ruhe brauchen. Blitzlichtgewitter, Menschenmassen und Lärm sind nichts für sie. Wer ihnen das dennoch zumutet, zollt diesen Wesen keinen Respekt und muss mit Reaktionen rechnen.
Darüberhinaus teilte dieser Tiger sein Revier mit Menschen anstatt mit Artgenossen. Wer Tiger aber untereinander beobachtet, erkennt einen für menschliche Verhältnisse sehr ruppigen Umgang. Ein Biss untereinander ist dann halt manchmal „unangenehm aber notwendig“. Ein Biss in einen Menschen ist meistens tödlich. Diesen Unterschied kann das Tier nicht machen, wenn es unter Stress steht. Es reagiert, wie ein Tiger reagiert. Das ist nicht gut oder böse. Das ist nicht schwarz oder weiß. Das ist Tiger.
Und wenn wir Menschen diesen Tiger-Kräften körperlich einfach nicht gewachsen sind, sollten wir uns andere tierische Freunde suchen, bei denen wir Meinungsverschiedenheiten und Machtkämpfe austragen können, ohne gleich daran zu sterben. Denn eins ist sicher: In jeder Gemeinschaft gibt es Konflikte. Und wenn ein Tiger diese Konflikte nicht auf seine Art austragen darf, dann ist er kein Tiger mehr.
Viele Menschen erheben sich über das Tier, ohne viel über dessen individuelles Wesen, seine Art und seine Natur zu wissen. Blind ordnen sie an, dirigieren und legen fest, anstatt der Natur ihren Raum zur Selbstregulation zu lassen. Und dann wundern sie sich über die schwerwiegenden Konsequenzen…
Lasst uns immer wieder eine Lanze für Tiere brechen wie heute für diesen Tiger. Denn je mehr von uns das tun, desto mehr wird sich unsere Gesellschaft wandeln… und vielleicht können wir dann eines Tages wieder zu einem natürlichen Gleichgewicht zurückkehren…