Reihe "Giftpflanzen" Teil 1: Gibt es giftige Kräuter?

Reihe "Giftpflanzen" Teil 1: Gibt es giftige Kräuter?

„Sind manche Kräuter giftig?“ Diese Frage wird mir in meinem Alltag immer mal wieder gestellt. Das zeigt mir, wie verunsichert manche Pferde-, Hunde- und Katzenhalter sind. Kein Wunder! Kursieren doch in Foren die wildesten Gerüchte. Hinzu kommt, dass altes Wissen verloren gegangen ist und neues auch mal falsch interpretiert wird. Und mancher Händler schürt diese Ängste, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen. Grund genug also, die Reihe „Giftpflanzen“ ins Leben zu rufen, und ein wenig über die Giftigkeit und die Ungiftigkeit von Pflanzen zu informieren.

Heute geht es allgemein um die Frage, was giftig ist und ob Kräuter giftig sein können. 

1. Was genau ist giftig?

Natürlich gibt es giftige und ungiftige Kräuter… und einige irgendwo in der Mitte. Die Intensität bzw. die Toxizität einer Pflanze wird in der Regel in 4 Stufen eingeteilt: 0 = ungiftig, 1 = leicht giftig, 2 = mittelstark giftig und 3 = hochgiftig. Für den Kräuterunkundigen ist es natürlich am Sichersten, wenn er sich ausschließlich auf der Stufe 0 bewegt. Für Medizin bzw. Pharmazie ist diese Einteilung allerdings nicht zwangsläufig ein Hinweis auf verwendbare und nicht verwendbare Pflanzen. Denn auch und gerade giftige Pflanzen und Naturstoffe werden zur Herstellung von Arzneimitteln benutzt, da diese oft (nicht immer) nützliche Wirkstoffe beinhalten.

Auch die eigentlichen Entdecker der Pflanzenheilkunde, die Tiere, fressen in freier Natur ganz gezielt auch kleine Mengen giftiger Pflanzen zu bestimmten Zwecken, zum Beispiel um sich von Endoparasiten zu befreien. Gleiches gilt für den frühen Menschen, der sich die Pflanzenverwendung von den Tieren abschaute. Im Laufe der Jahrhunderte ging dieses Wissen verloren - der moderne Mensch hat kaum mehr ein Gefühl für die richtigen Pflanzen und Mengen. Und selbst einige domestizierte Tiere haben damit schon ihre Schwierigkeiten. Mit fortschreitender Erforschung der einzelnen Pflanzenstoffe ging man darum dazu über, alle stärker giftigen Pflanzen der Reichweite des Privatmenschen zu entziehen und nur noch Apotheken und Ärzten zugänglich zu machen. So sind z.B. Bärlapp, Beinwell, Huflattig, Pestwurz, Wassernabelkraut usw. inzwischen apothekenpflichtige Kräuter, die im normalen Handel nicht mehr vertrieben werden dürfen.

Leicht giftige Kräuter und solche, die zwar für Menschen ungiftig für Tiere aber giftig sind, sind nach wie vor im normalen Handel erhältlich.
Leicht giftige Kräuter mögen aus zwei Gründen frei erhältlich sein: Zum einen, weil es nicht so einfach ist, diese derart überzudosieren, dass sie ernsthafte gesundheitliche Schäden verursachen. Und zum anderen weil die Forschungslage auch nicht immer eindeutig ist:

Zu den leicht giftigen Kräutern gehört zum Beispiel der Ackerschachtelhalm (Zinnkraut, Equisetum arvense). Nicht zu verwechseln mit seinem stark giftigen Bruder, dem Sumpfschachtelhalm. Der enthaltene Giftstoff ist angeblich das Alkaloid Palustrin. Ob dieses in Ackerschachtelhalm überhaupt vorkommt, ist jedoch umstritten (Hiermann 2006). Weiterhin ist Ackerschachtelhalm bei Pferden z.B. offenbar erst dann problematisch, wenn dieses über 2 bis 5 Wochen mit einem Anteil von mindestens 20 % im Raufutter vorhanden ist und gefressen wird. Die für Tierärzte empfohlene Tagesdosis an Ackerschachtelhalm (Reichling u.A. 2008) liegt beim Pferd bei 15 bis 30 g pro Tag. Zum einen sagt die Empfehlung der Verwendung an sich schon eine Menge über die Gefährlichkeit des Ackerschachtelhalms aus. Zum anderen ist diese Menge natürlich auch verschwindend gering im Vergleich zur toxischen Dosis.

Ein weiteres Beispiel ist die Goldrute (Solidago virgaurea)  - nicht zu verwechseln mit dem hochgiftigen Goldregen. Die Goldrute ist als derart ungiftig eingestuft, dass sie in kompetenter Giftpflanzenliteratur nicht einmal vorkommt. Auch diese wird für Tierärzte in ähnlicher Dosierung wie Ackerschachtelhalm empfohlen (Reichling u.A. 2008). Sehr unklaren Berichten aus den USA zufolge, habe die Aufnahme von Goldrute bei Weidevieh Vergiftungserscheinungen ausgelöst. Ein Grund diese Pflanze aus dem Behandlungskatalog zu nehmen?

Ein drittes und letztes Beispiel ist der Knoblauch. Das hierin enthaltene Allicin und Allylpropyldisulfid ist schwach giftig. Wie bereits im Artikel vom 10. März 2014 erwähnt, beziehen sich die einzigen Studien zur Giftigkeit von Knoblauch auf die hochgradige Überdosierung von Knoblauch, die bereits an Missbrauch grenzt, und weder ein Pferd noch ein Hund freiwillig fressen würde.

Was uns zu einem wesentlichen Aspekt in Hinsicht auf die Giftigkeit von Kräutern führt: Die Menge macht das Gift.

2. Alles lässt sich überdosieren

Vor fast 500 Jahren brachte es der Arzt Paracelsus auf den Punkt: „In allen Dingen ist ein Gift, und es ist nichts ohne ein Gift. Es hängt allein von der Dosis ab, ob ein Gift ein Gift ist oder nicht!“ Daraus wurde im Volksmund vereinfacht: „Die Menge macht das Gift!“ Und letztendlich trifft dieser Satz den Nagel auf den Kopf. Alles zu viel genossen, kann uns töten. Sogar Wasser! Denn es gibt nichts, das den Körper in zu großen Mengen nicht überfordern kann. Und das ist doch auch irgendwie logisch: schließlich sind wir Säugetiere zwar großartig konstruiert, aber nicht perfekt und auch nicht unsterblich.

Also macht erst die Dosierung das Gift zum verträglichen Lebensmittel. Und was für alle Stoffe auf Erden gilt, gilt natürlich auch für Kräuter. Und da gerade biologische Stoffe oftmals besonders giftig sind (denken wir an den Fliegenpilz oder den Biss einer Königskobra) ist natürlich Vorsicht angebracht bei der Verwendung von Pflanzen – und Wissen.

Doch auch Pflanzen, die als harmlos gelten, haben natürlich mehr Wirkungen als die eine gewünschte. Die unerwünschten bezeichnen wir Menschen dann als Nebenwirkungen. So kann die Brennessel beim Menschen neben ihrer vielen positiven Eigenschaften auch zu Blähungen führen oder Rosmarin Einschlafstörungen verursachen. Ein guter Kräuterkundler wird diese Nebenwirkungen in seinen Mischungen darum immer mit berücksichtigen und abmildern. Wichtig ist nur, dass wir uns einfach bewusst sind darüber, dass jede Pflanze Nebenwirkungen haben kann. Es gibt keine „besonders sanften“ Pflanzen – es gibt nur Pflanzen mit unterschiedlichem Wirkrepertoire.

3. Das Individuum macht den Unterschied

Kräuter können für den einen heilend und für den anderen krank machend sein. Während der Ingwer beim einen gegen Reiseübelkeit hilft, bekommt der andere hiervon Magenschmerzen. Oder: gerbstoffhaltige Pflanzen können äußerlich angewendet sehr hilfreich sein bei nässen, entzündlichen Hauterscheinungen. Weil die Gerbstoffe adstringierend wirken, was so viel heißt wie zusammenziehend, austrocknend. Ein Effekt der bei nässenden Wunden gewünscht ist und hilfreich – der aber bei eh schon zu trockener Haut eine Katastrophe wäre.
Diese Unterschiede im Ergebnis sind auch bei verschiedenen Tierarten zu beobachten. Während Weidenrinde bei Pferden in Hinsicht auf Schmerzlinderung und Entzündungshemmung kaum wirkt (da die Salicylsäure innerhalb einer Stunde verstoffwechselt wird), wirkt sie bei uns Menschen und Hunden ziemlich gut und ist für Katzen wiederum tödlich – denn Lebewesen ist nicht gleich Lebewesen. Selbst unter uns Säugetieren gibt es so große Unterschiede, die das Heilmittel des einen zum Gift des anderen machen.

Diese artspezifischen Unterschiede gilt es natürlich zu berücksichtigen, die Nebenwirkungen mit einzubeziehen ebenso wie die gesamte Palette an Inhaltsstoffen einer Pflanze. Außerdem gibt es neben der richtigen Dosierung noch einen weiteren Aspekt, der das Risiko erheblich minimiert:

4. Die Dauer macht den Unterschied

Warum nicht nur die Menge, sondern auch die Gabedauer einen Unterschied machen kann, will ich Ihnen am Beispiel des von den meisten Pferdehaltern bekannten und hochgiftigen Jakobskreuzkraut erklären: Die tödliche Dosis Jakobskreuzkraut bei einem ausgewachsenem Warmblut entspricht etwa 30 kg der Pflanze. Nun mögen Sie sagen: „Na das mein Pferd 30 kg davon frisst ist ja sehr unwahrscheinlich!“ und haben damit im Prinzip auch recht. Aber der Haken an der Sache ist: Diese 30 kg gelten nicht nur für die einmalige Aufnahme, sondern auch in der Summe bei der Aufnahme über einen längeren Zeitraum! Laut Dr. med. vet. Beatrice Düffler-Schneitzer (Düffler-Schneitzer 2005) sind eine 50 bis 200 g tägliche Dosis Jakobskreuzkraut im Heu über 2 bis 3 Monate ebenso tödlich, da die Leber nach und nach und irreversibel geschädigt wird.

Es ist also nicht nur die Tagesdosis, die das Gift macht, sondern auch die Einnahme-Dauer! Aus dieser Erkenntnis entstand schon vor langer Zeit der Grundsatz, Kräuter nur als Kur und in der Regel nicht länger als 6 Wochen zu geben. Zusammen mit einer kleinen Dosierung wurde so die Wahrscheinlichkeit erheblich minimiert, dass diese neben Ihrer Heilwirkung auch noch starke Nebenwirkungen ausbilden oder irreversible Schäden verursachen konnten. Eine dauerhafte Gabe sollte also so weit möglich vermieden werden.

FAZIT
oder
Wie Sie Gefahren vermeiden:

- Sammeln Sie keine Kräuter selbst. Wenn Sie sich irren, können Sie ein stark giftiges Kraut statt des gewünschten mit nach Hause nehmen.

- Achten Sie auf eine verträgliche Dosierung (Faustregel: bei Pferden durchschnittlich 10 bis 20 g pro Kraut und Tag, bei Hunden durchschnittlich 0,5 bis 1 g pro Kraut und Tag und bei Katzen – soweit überhaupt verträglich - durchschnittlich 0,5 g). Einzelne Kräuter können höher dosiert werden, dies sollte aber auf dem Produkt vermerkt sein.

- Geben Sie die Kräuter in der Regel kurweise und nicht dauerhaft

- nehmen Sie keine apothekenpflichtigen Kräuter, es sei denn, sie wurden Ihnen vom Tierarzt explizit verschrieben

Literatur:

Reichling, Gachnian-Mirtscheva, Frater-Schröter, Saller, Rabinovich, Widmaier: Heilpflanzenkunde für die Vereinärpraxis. 2. Auflage. Springer Verlag Berlin Heidelberg 2008.
Dülffer-Schneitzer: Notfall-Ratgeber Giftpflanzen. 2. Auflage. FN Verlag Warendorf 2010.
Habermehl, Ziemer: Giftpflanzen und Intoxikationen in der tierärztlichen Praxis. Verlag M&H Schaper Hannover 2009.
Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. 3. Auflage. Karl F. Haug Verlag Stuttgart 2011.
Hiermann: Equisetum, Sambucus, Taraxacum. In: Hagers Handbuch der Drogen und Arzneistoffe. HagerROM. Springer Verlag Berlin Heidelberg New York 2006.

Bild copyright: Mantonature @ istockphoto.com


Ein Gedanke zu „Reihe "Giftpflanzen" Teil 1: Gibt es giftige Kräuter?“

  • Markus Bröker

    Markus Bröker

    Ein sehr informativer und sehr interessant zu lesender Artikel. Kräuter sollten - als Droge verwendet - aus meiner Sicht nicht unter Hinzunahme eines Tierarztes oder Tierheilkundlers verabreicht werden. Sicherlich gibt es erfahrene Halter, leider aber eben auch viele, die meinen sie seien erfahren.
    Mich selbst würde ich auch als THP im Bereich der Kräuterkunde als unerfahren bezeichnen wollen.